Neue Synagoge Breslau
Die Neue Synagoge, auch Synagoge am Anger genannt, stellte eines der bekanntesten und prägnantesten Bauwerke im Stadtbild von Breslau dar. Sie war die größte Synagoge der Stadt und war zum Zeitpunkt ihrer Entstehung der zweitgrößte jüdische Kultbau im deutschsprachigen Raum, der lediglich von der Neuen Synagoge Berlin übertroffen wurde.
Gerade mal vierzig Jahre vor der Auslobung des Wettbewerbs zum Bau der Neuen Synagoge 1 wurde die Synagoge zum Weißen Storch fertiggestellt 2, die als erste Synagoge der gesamten Breslauer Gemeinde als Gotteshaus dienen sollte. Der Bau der Neuen Synagoge fiel in die Zeit stürmischer Diskussionen über Fragen zur Religion und Identität innerhalb der jüdischen Gemeinden in Breslau und den deutschen Ländern des 19. Jahrhunderts. Nach langjährigem Streit zwischen konservativen und liberalen Mitgliedern innerhalb der Breslauer Gemeinde wurde in den 1840er Jahren entschieden, dass zwei unabhängige Kultkommissionen einberufen werden und an ihre Spitze jeweils ein eigener Rabbiner berufen wird. Gleichzeitig wurde über den Bau einer Synagoge für die zahlenmäßig wachsende Gemeinde und die Errichtung einer modernen, repräsentativen Kultstätte diskutiert. Der Neubau sollte dabei vor allem auf die Bedürfnisse des reformierten Teils der Gemeinde eingehen.
Im Jahr 1864 fasste der Gemeindevorstand den Beschluss, ein Gotteshaus zu bauen und begann mit der Suche nach einem geeigneten Grundstück. Die Gemeinde zog als Ort für die zukünftige Synagoge drei Standorte in Betracht: der erste war Karlsstraße 27 [ul. Kazimierza Wielkiego] 3 , der zweite eine Eck-Parzelle am Nikolai-Stadtgraben 4 und Neue Antonienstraße 5 [Ecke ul. Podwale und ul. Zelwerowicza] 4 . Die dritte und letztendlich ausgewählte Option war das Gelände des ehemaligen Hotels Zettlitz 1 am Schweidnitzer Stadtgraben [ul. Podwale 34]. Die Lage unmittelbar an der Stadtpromenade, in einem sich dynamisch entwickelnden Stadtteil, entsprach dem hohen Rang des zukünftigen Bauwerks. Nicht ohne Bedeutung war auch das nähere Umfeld, darunter die von Westen an die Parzelle anliegende Villa Eichborn mit großem Garten und von Osten die Schweidnitzer Straße [ul. Świdnicka] und Tauentzienplatz [pl. Kościuszki].
Zum geschlossenen Wettbewerb wurden drei Architekten eingeladen: Edwin Oppler, Carl Lüdecke, der damalige (Landes-)Baurat, sowie ein namentlich unbekannter Architekt. Im Jahr 1866 wurde Edwin Oppler als der Gewinner des Wettbewerbs ausgelobt. Sein Entwurf erfüllte mit Sicherheit die wichtigsten Vorgaben des Wettbewerbs, zu seinem Erfolg trug aber zweifellos auch die Person des Architekten bei. Edwin Oppler war ein gebürtiger Schlesier aus Oels bei Breslau. Er war außerdem einer der ersten jüdischen Architekten, der ein Hochschulstudium der Architektur absolviert hatte. Zudem war er einer der ersten Architekten, die sich auf den Entwurf von Synagogen spezialisiert hatte. Darüber hinaus fand während der Laufzeit des Breslauer Wettbewerbs bereits der Bau der monumentalen Neue Synagoge in Hannover nach seinen Entwürfen statt.
Da das Breslauer Grundstück für den Bau der Neuen Synagoge langgezogen war, wurde das Gebäude quer errichtet, wobei es die gesamte Länge der kürzeren Seite einnahm. Der Haupteingang, der gewöhnlich von der Westseite angelegt wurde, wurde auf die Nordfassade verlegt, wo eine repräsentativere Erschließung, samt Vorplatz- und Portalgestaltung entworfen werden konnten. Die Lage des Eingangs in einer Seitenwand war auch dadurch bedingt, dass die Parzelle von der westlichen Seite direkt an den parkähnlichen Garten von Eichborn angrenzte und damals die Anger-Straße [ul. Łąkowa] noch nicht existierte, sie wurde erst um 1909 angelegt.
Den wichtigsten Akzent des Bauwerks stellte sicherlich die monumentale Kuppel dar, die über der Kreuzung der Schiffe auf einem achtseitigen Tambour errichtet wurde und eine Höhe von 73 Metern erreichen sollte. Ihre Dominanz wurde durch vier achteckige Türme zusätzlich verstärkt. Der Entwurf von Edwin Oppler sollte nicht nur einen repräsentativen, sondern auch einen funktionalen Raum schaffen, der gleichzeitig detaillierte Lösungen für die internen Verbindungswege mit über sieben Eingängen, die komplexe Gestaltung der Emporen sowie eine abgetrennte „kleine“ Synagoge für Gottesdienste in der Woche beinhaltete.
Die bedeutendsten Elemente des Gotteshauses stellten der Thoraschrein und die Bima dar, die erhöht und in der architektonisch ausgebauten Ostwand integriert waren. Der fließende treppenartige Übergang zwischen den beiden Elementen erweckte den Effekt, sich nach oben zu erheben. Der Eindruck wurde durch die zu beiden Seiten des Thoraschreins auf den Emporen angeordnete Orgel und eine zentral angelegte Rosette verstärkt. Das Innere der Synagoge erhielt eine farbige Polychromie mit stilisierten Pflanzenmotiven von Gisbert Münster. Der Entwurf von Oppler war an die Bedürfnisse der reformierten Gemeinde abgestimmt, so dass es keine optische Abtrennung auf den Frauenemporen gab und die Orgel in die Synagoge einführte.
Von großer Bedeutung für die ideelle Konzeption des Gotteshauses war der neoromanische Stil. Im 19. Jahrhundert stellte sich auch eine neue Herausforderung sowohl für die Architekten als auch die Bauherren der damals entstehenden Synagogen ein: das Problem, eine entsprechende Stilsprache zu finden. Edwin Oppler spielte eine wichtige Rolle unter den deutschen Architekten, die diese Aufgabe auf sich nahmen und gab eine der dominierenden Richtungen für die Synagogen-Architektur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor. Mehr noch, er erschuf auch die theoretische Abhandlung mit Lehrbuchcharakter, die dank der Publikation in der „Baukunde des Architekten“ (1884) zur Verbreitung des von ihm erarbeiteten Synagogen-Modells beitrug. Die Ansichten Opplers zur Bedeutung des neoromanischen Stils passten auch zur Idee der Assimilation, die von den reformierten Juden propagiert wurde.
Eine Quelle der Inspiration für Oppler war die Architektur im Rheinland an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, und zwar: der Kaiserdom Worms, der Kaiserdom Speyer bzw. der Kaiserdom Mainz. Oppler knüpfte außerdem an die mittelalterliche Tradition jüdischer Baukunst an, und zwar an die Synagoge Worms sowie die Synagoge in Prag. In den Erwägungen Opplers fehlt auch das politische Element nicht. Der romanische Stil ist seiner Meinung nach ein rein deutscher Stil. In einer Zeit der aufkommenden nationalen Identität, praktisch unmittelbar vor der deutschen Einigung durch die Gründung des Deutschen Kaiserreichs, schlug Edwin Oppler den Juden die Assimilation durch Architektur vor. Der Architekt lehnte ausdrücklich die Bauweise im mauretanischen Stil, auch orientalisch genannt, ab, dem zweiten, damals führenden Stil in der Architektur von Synagogen.
Der spezifische Zeitpunkt, zu dem die Neue Synagoge entstand, bewirkte, dass die Juden sich erstmalig in den Wettkampf zwischen Katholiken und Protestanten um die Errichtung des prächtigsten Gotteshauses in Breslau einklinkten. Während die Jüdische Gemeinde ihr großes Bauvorhaben durchführte, das das Stadtbild der Schweidnitzer Vorstadt verändern sollte, waren die Katholiken mit dem Bau der Michaeliskirche 8 in Elbing und die Protestanten mit der Planung und den Bau der Salvatorkirche, anfangs am Salvatorplatz geplant 5 , beschäftigt. Die Errichtung imposanter Bauten war mit großen Risiken verbunden. Im Jahr 1868 stürzte beispielsweise der Nordturm der Michaeliskirche ein und wurde nicht mehr nach dem Entwurf des Architekten vollendet. Ein Jahr später endete die Belastungsprobe der Konstruktion in der Breslauer Synagoge mit deren Einbruch, was die Baumeister dazu zwang, die Vierungsfundamente zu verstärken, welche die Hauptlast der Kuppel tragen. Glücklicherweise konnte dadurch eine weitere Baukatastrophe verhindert werden. Aufgrund des großen Abstands zwischen den Standorten der Michaeliskirche und der Neuen Synagoge konnten die Gebäude beider Gotteshäuser nicht gegenseitig aufeinander einwirken. Ganz anders konnte es mit der evangelischen Salvatorkirche werden, die in unmittelbarer Umgebung der Synagoge am Kürassier-Reitplatz [pl. Muzealny] 6 entstehen sollte. Letztendlich entstand auf dem Platz das Schlesische Museum für bildende Künste, das 1880 eröffnet wurde.
Die Breslauer Synagoge wurde zum architektonischen Modell für andere jüdische Sakralbauten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die insbesondere in Schlesien gebaut wurden. Beispiele dafür sind die nicht mehr existierende Synagoge Glatz, nach einem Entwurf von Albert Grau, der im Übrigen zwei Jahre lang den Bau der Breslauer Synagoge leitete, sowie die Synagoge Glogau. Oppler schuf insgesamt acht Entwürfe für Synagogen, von denen ganze fünf umgesetzt wurden (siehe Karte unten). Keine seiner Synagogen überdauerte das nationalsozialistische Pogrom an den Juden, die sog. „Reichspogromnacht“, vom 9. auf den 10. November 1938, in der Synagogen und andere jüdische Objekte angezündet und zerstört wurden.
Text: Karolina Jara
Edwin Opplers Synagogen - Projekte und Umsetzungen
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